Auf der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien (DGPro) wurde einem Symposium zum Thema Versorgungsforschung ein ganzer Nachmittag eingeräumt. Damit wurde demonstriert, welchen Stellenwert der Vorstand der Gesellschaft dieser Forschung zumisst. Einige prominente Mitglieder der Gesellschaft haben bereits seit vielen Jahren auf diesem gerade für das synoptische Fach Prothetik so wichtigen Feld gearbeitet und damit die Versorgungsforschung auch etwas weiter in das öffentliche Bewusstsein gebracht. In einem Impulsreferat zu Beginn des Symposiums machte Prof. Dr. Michael Walter aus Dresden allerdings deutlich, dass die Zahnmedizin und auch die Prothetik noch sehr weit entfernt sind von einer angemessenen Forschungsbasis bezogen auf den realen Gesundheitsnutzen, den die verschiedenen Therapien stiften.
Nachfolgend sind einige Passagen aus dem Referat wiedergegeben.
„Möchte man auf breiter Basis wirksam werden, kommt man an der Versorgungsforschung und der ihr zu Grunde liegenden Versorgungsrealität nicht vorbei. Trotzdem wird dieser Forschungszweig in der Medizin allgemein und in der Zahnmedizin oft nicht sehr hoch geschätzt.“
„Versorgungsforschung befasst sich mit Input, Throughput, Output und Outcome; also dem Eintritt in das System, Strukturen/Prozessen, unmittelbar erbrachten Leistungen und dem eigentlichen, auch längerfristigen gesundheitlichen Ergebnis. Die klassische, langfristig ausgerichtete prothetische Sicht prädestiniert natürlich zur Fokussierung auf das Outcome, also das gesundheitliche Ergebnis. Hier besteht eine Diskrepanz zur Berufspolitik, die sich schwerpunktmäßig eher auf Input, Throughput und Output konzentriert.
Zur Versorgungsforschung gehören: Health Technology Assessment (HTA), Gesundheitsökonomie, Qualität, Versorgungsepidemiologie.“
„Warum wird nicht mehr Versorgungsforschung in unserem Fach betrieben? Themen der Alltagszahnmedizin und der Versorgungsforschung sind offensichtlich wenig attraktiv und als Forschungsschwerpunkte aus Karrieresicht kaum gesucht. Das wiederum hängt mit der bereits erwähnten geringen Reputation und Prestigeträchtigkeit zusammen, die deutlich hinter denen der ubiquitären prothetischen Trendthemen Vollkeramik, CAD/CAM und Implantaten zurückbleiben. Das sind aber genau die Themen, bei denen große Diskrepanzen zwischen Ergebnissen unter idealen Studienbedingungen und aus der Versorgungsrealität vermutet werden können. So können letztlich die Ergebnisse klinischer Studien sogar gefährlich sein, suggerieren sie doch u. U. hohe Erfolgsraten, die in der Praxis nur reproduziert werden können, wenn den Studienbedingungen ähnliche Bedingungen gewährleistet werden können. Darüber hinaus können Ergebnisse klinischer Studien durch zu weit reichende Interpretation auch aus Marketinginteressen missbraucht werden. Wir heben im studentischen Unterricht zunehmend auf diese Problematik ab. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Klinische Forschung ist essentiell, aber eben nicht alles und muss angemessen interpretiert werden.“
„Leider muss man sagen, dass Bekenntnisse zur Versorgungsforschung in der Zahnmedizin sehr verbreitet sind. In validen Projekten oder gar finanzieller Förderung schlagen sich diese Statements jedoch eher selten nieder. Eine Ursache dafür ist, dass entsprechende Forschung unweigerlich auch Aspekte der Qualität berührt. Dies birgt Konfliktpotenzial, aber auch Chancen. In der Standespolitik ist Qualität, insbesondere die Ergebnisqualität, allerdings zuweilen die berühmte „heiße Kartoffel“, die man doch eher meidet. Versorgungsforschung betreiben bedeutet auch, manchmal dahin zu gehen, wo es wehtut. Das muss ganz klar gesagt werden. Eine weitere Ursache für die geringe Akzeptanz der Versorgungsforschung in unserer wissenschaftlichen Community sind bibliometrische Maße wie Impact- oder Hirsch-Faktor, denen jeder karriereorientierte Jungwissenschaftler heute wohl oder übel hinterherlaufen muss.“
„Die Versorgungsforschung ist in der prothetischen Zahnmedizin noch nicht ausreichend etabliert. Ein Ausgleich des diesbezüglichen Defizits erscheint unter den herrschenden hochschul- und förderpolitischen Rahmenbedingungen schwer. Es ist aber anzunehmen, dass Schwierigkeiten im Versorgungssystem den entsprechenden Forschungsbedarf weiter untermauern werden. Versorgungsforschung kann daher als sehr zukunftsträchtiger Forschungszweig angesehen werden.“
„Abschließend möchte ich feststellen, dass Versorgungsforschung nicht in Konkurrenz zur klassischen klinischen Forschung in der Prothetik steht, sondern eine perfekte und dringend notwendige Ergänzung darstellt.“
berichtet von
Dr. Celina Schätze