Privatisierung von Gesundheitsleistungen macht nicht gesünder!

DAZ sieht bei Ausgrenzung der gesamten Zahnheilkunde verheerende gesundheitliche Folgen

Köln, 30. Oktober 2003

Der Deutsche Arbeitskreis für Zahnheilkunde (DAZ) lehnt die von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) geforderte völlige Privatisierung der zahnmedizinischen Versorgung wegen der zu erwartenden gesundheitlichen Nachteile der Bevölkerung kategorisch ab. Obwohl entsprechende Erfahrungen aus Nachbarländern vorliegen, die die Schlechterversorgung finanzschwächerer Patienten belegen, propagieren die KZBV sowie verschiedene Zahnärztekammern und Kassenzahnärztliche Vereinigungen zusammen mit dem sie dominierenden Freien Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) die Streichung der gesamten Zahnheilkunde aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Diese Organisationen versprechen sich davon eine freiere Berufsausübung mit höheren Honoraren, ohne Einschränkungen der Therapiemöglichkeiten und ohne staatliche Kontrollen. Zur Rechtfertigung des Vorschlags behaupten führende Vertreter der Zahnärzteschaft, dass das bisherige System der kassenzahnärztlichen Versorgung eine präventionsorientierte Betreuung der Menschen unmöglich mache und ein regelrechtes Gefängnis darstelle. Dagegen werde die Privatisierung der Zahnversorgung den Patienten den Zugang zu fortschrittlichen Therapien eröffnen. Vor allem aber würden die Menschen, wenn sie die Kosten notwendiger Zahnreparaturen unmittelbar spüren, viel mehr für Vorbeugung tun und ihre Mundgesundheit enorm steigern.
Solche Behauptungen des FVDZ, die mit den Vorstellungen und Erfahrungen eines Großteils der in Deutschland tätigen Zahnärzte nicht abgestimmt sind, entbehren tatsächlich jeglicher Grundlage. Moderne Verfahren wie individualprophylaktische Betreuung, minimalinvasive Füllungstherapie oder auch Implantationen sind schon heute jedem Patienten bei entsprechender Kostenbeteiligung zugänglich. Durch Ausgrenzung der Zahnmedizin und höhere Belastung mit privaten Versicherungsbeiträgen werden teure Therapien für niemanden leichter erschwinglich. Ganz im Gegenteil ist zu befürchten, dass der heute bereits teilweise zu beobachtende Wildwuchs zahnärztlicher Rechnungsstellung erheblich zunehmen wird und die steigenden Kosten von immer weniger Menschen bezahlt werden können.

Vor allem aber macht höhere Kostenbelastung nicht automatisch gesünder im Sinne des Schlagworts "moti-vation by money", wie die Erfahrungen in anderen Ländern Europas zeigen. Wichtig für die Mundgesundheit sind vielmehr oralpräventive Programme, Gesundheitserziehung in Kindergärten und Schulen und Aufklärung über die Medien. Die bloße Privatisierung hat dagegen keinen positiven gesundheitlichen Effekt. Sie führt dazu, dass weniger finanzkräftige Menschen schlechter versorgt sind und – wie z.B. in den Niederlanden – die Zahnlosigkeit unter Erwachsenen erheblich höher ist als in Deutschland. Erkenntnisse darüber, dass von einer Privatisierung keine ‚Wunderwirkung' ausgeht, liegen auch bei uns vor, denn diejenigen, die keiner gesetzlichen Krankenkasse angehören und von ihrem Zahnarzt eine Privatrechnung erhalten, weisen nicht durchweg eine bessere Mundhygiene und gesündere Zähnen auf.

Die Privatisierung von notwendigen Gesundheitsleistungen führt also nicht zu mehr Gesundheit, sondern zu mehr sozialer Ungleichheit und zur Unterversorgung derjenigen, die ohnehin stärker von Krankheiten betroffen sind wie Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen und in schwierigen Lebenslagen. Auch ein vermuteter gesamtwirtschaftlicher Einspareffekt wird durch allgemeinmedizinische Folgekosten einer nachlassenden Mundgesundheit voraussichtlich mehr als aufgezehrt. Eine Privatisierung der Zahnheilkunde ist noch nicht einmal ein Vorteil für die Zahnärzteschaft selbst, da bei steigenden Kosten der Versorgung die Nachfrage nachlassen wird, so dass Praxen mit sozial schwachem Klientel in erhebliche wirtschaftliche Bedrängnis geraten können und nur Praxen mit hohem Privatpatientenanteil in Ballungsgebieten überlebensfähig bleiben. Im übrigen erweckt der Ruf nach Ausgrenzung den Eindruck, als seien zahnärztliche Leistungen nicht notwendig bzw. verzichtbar und eher im Bereich der Kosmetik anzusiedeln. Dies gefährdet die Integration der Zahnmedizin in die Medizin und beschwört das Ende der akademischen Zahnarztausbildung herauf. Zu bezweifeln ist, ob die Mehrheit der Zahnmediziner dies alles befürwortet. Es wäre aufschlussreich, wenn diejenigen, die die Privatisierung fordern, zunächst durch eine seriöse Befragung, z.B. über das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ), das Meinungsbild der Berufsgruppe erforschen lassen würden.

Insgesamt sollte die gesundheitspolitische Debatte von ideologischem Ballast befreit und auf Grundlage nachprüfbarer Fakten geführt werden. Wissenschaftliche Belege und praktische Erfahrungen zur sozialen Mitbedingtheit oraler Erkrankungen liegen seit längerem vor. Der Deutsche Arbeitskreis für Zahnheilkunde (DAZ), der sich seit seiner Gründung für Prävention und für eine gute Versorgung aller Patienten einsetzt, begrüßt, dass jetzt auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), vertreten durch Dr. Dietmar Österreich, solche Überlegungen in die politische Debatte einführt. Der BZÄK-Vize hat u.a. darauf hingewiesen, welche bedenklichen Folgen Leistungsausgrenzungen und Zuzahlungserhöhungen gerade für weniger gut Situierte haben können. Mit großer Skepsis kommentierte er die ab 2005 wirksam werdende Herausnahme des Zahnersatzes aus der GKV. Diese Einsicht kommt leider recht spät. Hat doch die BZÄK selbst im Verbund mit den anderen zahnärztlichen Spitzenorganisationen immer wieder die Privatisierung der gesamten Zahnmedizin gefordert und so mit dazu beigetragen, dass trotz Widerständen in allen beteiligten Parteien schließlich die Streichung der Prothetik im Reformgesetz GMG 2003 verankert wurde.

Der DAZ hofft, dass die BZÄK und auch die übrigen zahnärztlichen Organisationen zu einer rationalen Betrachtung unseres Versorgungssystems zurückfinden. Die Vertretung der eigenen Interessen des Berufsstandes ist notwendig und legitim, sie darf jedoch nicht vermengt und verbrämt werden mit Behauptungen über das angebliche Wohl der Patienten. Die im Rahmen der Selbstverwaltung beteiligten Zahnärzte sind aufgerufen, bei der Umsetzung des Reformgesetzes die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auch in Zukunft sozialversicherten Patienten notwendige zahnmedizinische Grundleistungen über die GKV bzw. die Zahnersatzpflichtversicherung finanziert bzw. bezuschusst werden.

Für Rückfragen: Dr. Eberhard Riedel, DAZ-Vorsitzender
Tel 089/534552, Fax 089/54404484, Mail Riedel@daz-web.de

Hinterlassen Sie eine Antwort