Fallbesprechung

Fallbesprechung

4. April 2019

Zahntechnikermeister M., Inhaber eines gewerblichen Labors mit 5 Angestellten, erhält Post eines Rechtsanwaltes. Dieser gibt an, eine Patientin des Zahnarztes Dr. W. zu vertreten, der ein Kunde des Technikers M. ist. Der Anwalt beschreibt die erheblichen Probleme, die seiner Mandantin seit der Tätigkeit des Zahntechnikers in ihrem Munde entstanden sind.

Der Techniker habe zunächst im Auftrage von Zahnarzt Dr. W. eine Nachbesserung an einem von M. angefertigten vollständig implantatgetragenen herausnehmbaren Zahnersatz im Oberkiefer vorgenommen und diesen dann der Patientin in seinem Labor definitiv eingegliedert. Die Zahnarztpraxis habe zu diesem Zeitpunkt Urlaub gehabt.

Seit dieser von Techniker M. vorgenommenen Eingliederung, so der Anwalt weiter, habe die Prothese einen extremen Druckschmerz ausgeübt. Seine Mandantin sei zudem noch nicht einmal mehr in der Lage gewesen, den Ersatz selbst zu entfernen. Ein Zahnarzt im Notdienst konnte die Prothese nur gewaltsam entfernen, wobei ein Implantat gelockert worden und ein Schaden an der Prothese entstanden sei.

Der Anwalt hält Techniker M. einen Verstoß gegen § 18 des Zahnheilkundegesetzes vor und stellt Haftungsansprüche für den Verlust eines Implantatpfeilers und die erlittenen Schmerzen seiner Mandantin. Durch die unerlaubten und fehlerhaften Leistungen des Technikers könne zudem kein Zahlungsanspruch bezüglich seiner zahntechnischen Leistungen erhoben werden.

Zahntechniker M. überdenkt die Situation. Er hatte nicht eigenmächtig gehandelt, sondern im ausdrücklichen Auftrag des Zahnarztes. Auch die Patientin war offensichtlich einverstanden. Tatsächlich hält er es für möglich, dass er eines oder mehrere der 6 Abutments fehlerhaft eingesetzt hatte. Ebenfalls hatte er große Probleme, die Okklusion der Patientin einzuschleifen. Das Anwaltsschreiben fördert bei ihm einen erheblichen Gewissenskonflikt zutage, da ihm bekannt ist, dass er zur Ausübung der Zahnheilkunde nicht berechtigt ist. Als er jedoch als junger Meister sein Labor eröffnete, konnte er nur schleppend Zahnärzte als Kunden gewinnen. Fast jeder zweite Zahnarzt, dessen Praxis er aufsuchte, fragte ihn, ob er auch Praxisaufgaben im Labor übernehmen würde. M. sah sich gezwungen, einzuwilligen, und installierte eine zahnärztliche Behandlungseinheit im Labor. Regelmäßig schicken ihm Zahnärzte Patienten für Bissnahmen, zum Entfernen und Einsetzen von Provisorien, zum Anpassen und Einschleifen von Zahnersatz und Schienen und manchmal sogar auch, wie jetzt, für endgültige Eingliederungen.

M. sieht sich im Dilemma, trotz der rechtlichen Grenzen die Bedingungen des Marktes erfüllen zu müssen, wie sie ihm durch fast die Hälfte seiner zahnärztlichen Kunden aufgezwungen werden. Er kennt kein Labor, das nicht unter den gleichen Zwängen arbeitet. Würde er sich dem verweigern, wäre sein Labor durch den Wegfall dieser Kunden schlicht nicht mehr rentabel.

Für Zahntechniker M. stellt sich die Frage, ob und wie er diesem Dilemma entkommen kann, da er keinem Patienten einen weiteren Schaden zufügen möchte.

  • Soll und darf er die zu ihm geschickten Patienten über diese Zwangslage aufklären, die ja nicht nur ihm als Zahntechniker schadet, sondern gerade auch den Patienten erhebliches Leid bescheren kann?
  • Darf oder muss er sogar die Patienten über die Unzulässigkeit und Gefährlichkeit der von ihm verlangten Maßnahmen aufklären?
  • Darf er den betroffenen Patienten gar nahelegen, einen anderen seriösen Zahnarzt, möglicherweise aus seinem Kundenstamm, aufzusuchen?
  • Sollte er sich an seine Zahntechnikerinnung oder die Zahnärztekammer wenden, damit diese unter Wahrung seiner Anonymität auf die Zahnärzte einwirken?

 

Dr. Eberhard Riedel

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