Im Rahmen der Debatten um die nächste Gesundheitsreform wird, bspw. durch Mitglieder der Rürup-Kommission und Vertreter des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ), Zahnersatz (ZE) als notwendiger Bestandteil des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenkassen in Frage gestellt – u.a. mit den Argumenten, dass
- Zahnersatz durch Prophylaxe bald überflüssig wird
- Zahnverlust zunehmend als selbstverschuldet anzusehen ist
- ein hoher finanzieller Eigenanteil für Zahnersatz zur Prophylaxe motiviert
- Ästhetik nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft ist.
Der Deutsche Arbeitskreis für Zahnheilkunde (DAZ) folgt dieser Argumentation nicht und verweist statt dessen auf das letzte Gutachten des Sachverständigenrates und die Studie der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Prothetik zur "Bedarfsermittlung für prothetische Leistungen in der Zahnheilkunde bis zum Jahr 2020".
Auch wenn bei Kindern und Jugendlichen ein erfreulicher Karies-Rückgang zu verzeichnen ist, lässt sich ein deutliches Absinken des generellen Zahnersatz-Bedarfs wissenschaftlich nicht belegen. In den letzten 14 Jahren ist der durchschnittliche Zahnverlust der 35- bis 44-Jährigen nicht zurückgegangen. Nach Prof. Kerschbaum, Universität Köln, wird auch in Zukunft, d.h. im Zeitraum bis 2020, der Bedarf nicht wesentlich abnehmen – trotz der Erfolge der Präventionsprogramme und auch bei einer optimistischen Beurteilung der Prophylaxeeffekte im Jugend- und Erwachsenenalter. Erkrankung und Verlust von Zähnen bleiben – wie Krankheit überhaupt – ein gesamtgesellschaftliches Problem. Aus sozialwissenschaftlicher wie aus medizinischer Sicht können weder Karies noch Parodontitis uneingeschränkt als selbstverschuldet beschrieben werden. Einen Motivationseffekt durch hohe Selbstbeteiligung gibt es gerade bei dem Teil der Bevölkerung, der den höchsten Versorgungsbedarf hat, nicht. Was die Ästhetik betrifft, so ist in unserer Gesellschaft bei einem sichtbar lückenhaften bzw. zerstörten Gebiss der Weg in die berufliche und private Ausgrenzung vorgezeichnet. Daraus folgt, dass eine Basisversorgung mit Zahnersatz ebenso wie die Ausstattung mit Hilfsmitteln und Körperersatzstücken in anderen Organbereichen keineswegs dem Luxus zuzurechnen ist, sondern zu den grundlegenden Hilfen gehört, die Aufgabe der Gesetzlichen Krankenversicherung bzw. einer wie auch immer zu definierenden Grundversorgung sind.
Zahnersatz trägt ganz elementar zum Erhalt körperlicher Funktionen bei, indem er normales Kauen und damit eine gesunde Ernährung, normales Sprechen und Artikulieren ermöglicht und zugleich durch Erhalt der normalen Stellung der Restbezahnung und der Kiefer zueinander dem Verlust weiterer Zähne und der Entwicklung schmerzhafter Veränderungen der Kiefergelenke vorbeugt. Tatsächlich wirken Kronen, Brücken und Prothesen, richtig eingesetzt, prophylaktisch gegenüber weiteren, sonst eintretenden Zerstörungen des Gebisses und sich daraus ergebenden Folgeerkrankungen.
Private Versicherungsangebote können auf absehbare Zeit den Prothetikbedarf nicht abdecken. Wenn jeder für sein eigenes Risiko ansparen muss, erfordert dies sehr lange Übergangsfristen – sonst gibt es deutliche Härten für ältere und bereits vorerkrankte Versicherte, die in der PKV mit Ablehnung, Leistungsausschluss und/oder exorbitanten Prämien zu rechnen haben.
Aus Sicht des DAZ gilt: Ein funktionstüchtiges Gebiss – ggf. funktionstüchtig durch Zahnersatz – ist Lebensqualität. Da durch Präventionsprogramme der Bedarf an Zahnersatz nicht verschwindet, sondern allenfalls in höhere Lebensalter verschoben wird, muss die Gesetzliche Krankenversicherung weiterhin oral-rehabilitative Leistungen zur Verfügung stellen.
Die moderne Zahnheilkunde bietet hier ein breites Spektrum von der Minimalversorgung bis hin zur extrem aufwändigen verschönernden Wiederherstellung, die nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft sein kann. Der Gesetzgeber ist gefordert, den Leistungsrahmen für die gesetzlich Versicherten zu definieren. Als ein flexibles System, das eine ausreichende Grundversorgung ebenso wie Zuzahlungen und aufwändigere Versorgungsformen ermöglicht, empfehlen sich Festzuschüsse.
Für Rückfragen:
Wolfram Kolossa, DAZ-Vorsitzender,
E-Mail wolfram.kolossa@t-online.de