Wunscherfüllende Medizin - eine Gratwanderung für den Zahnarzt?

Zahnärzteverband DAZ befasst sich mit einem aktuellen Trend

Köln, 29. September 2006

Der Vortrag des Philosophen und Psychologen Prof. Dr. Mattthias Kettner, Privat-Universität Witten-Herdecke, bei der Jahrestagung des Deutschen Arbeitskreises für Zahnheilkunde (DAZ) beleuchtete herausfordernd die unangenehm unklare Grenze zwischen der "kurativen Medizin" und der "wunscherfüllenden Medizin". Die ärztliche Kunst dient nicht mehr nur der Behandlung von Krankheiten, wie z.B. Zahlen aus dem Bereich der ästhetisch-plastischen Chirurgie ( = „Schönheitschirurgie", nicht zu verwechseln mit der rekonstruktiven Chirurgie nach Unfällen und Operationen!) verdeutlichen. So wurden 2002 ca. 660.000 Eingriffe registriert – 150.000 im Gesicht, 160.000 an der Brust, 350.000 an Körper und Extremitäten. Der Wunsch nach Schönheit ist laut Kettner nicht unmoralisch per se. Allerdings bedeutet er für den Arzt und Zahnarzt eine Herausforderung in seinem professionellen Selbstverständnis. Fragwürdig und unklar ist schon der Begriff "Schönheit". Die jeweils geltenden Schönheitsideale sind höchst subjektiv, oft auf die die Berücksichtigung geometrischer Proportionen und ein „Durchschnitts-Erscheinungsbild" fokussiert, was der Vielfalt und Individualität der Menschen wenig Rechnung trägt. Zudem sind die ästhetischen Vorlieben stark Mode-abhängig und gezielt durch Marketing-Strategien beeinflussbar. Dem Arzt und Zahnarzt, der bei der Krankheitsbehandlung auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen kann, fehlen vergleichbare Grundlagen bei der Konfrontation mit "konsumanalogen" Patientenwünschen. Diese Wünsche sind eingebettet in einen gesellschaftlichen Trend, demzufolge dem äußeren Erscheinungsbild – von der Kleidung über die Figur bis hin zu den Zähnen – erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt wird und Konformität zu einem wesentlichen Faktor für beruflichen und privaten Erfolg wird. "Wunscherfüllende (Zahn)Medizin" bewegt sich auf diesem subtilen und noch wenig erforschten Untergrund. Es ist durchaus fraglich, ob dies dem Behandler bewusst ist. Die "kurative (Zahn)Medizin" ist bisweilen nur schwer von der "wunscherfüllenden (Zahn)Medizin" zu unterscheiden – wo liegt jeweils die Grenze zwischen Krankheitsbehandlung und Patientenwunscherfüllung? Kann die allgemein in der Medizin anerkannte Bedingung genügen, wonach die (u.U. wunscherfüllende) Behandlung wenigstens keine Schädigung verursachen darf? Welche Kriterien gelten als Schädigung? Körperliche Schädigung im konventionell ethischen Sinne (Beschleifen eines Zahnes als prinzipielle Körperverletzung) oder z.B. auch die finanzielle Schädigung (sog. Überversorgung besonders bei Privatpatienten)? Kann der Wunsch und das Einverständnis des Kunden/Klienten/Patienten den Zahnarzt aus seiner ärztlichen Verantwortung entlassen – gilt dann also der Grundsatz des "nicht Schädigens" nicht mehr? Weil ethische Maßstäbe im Bereich der "wunscherfüllenden Zahnmedizin" bisher nicht definiert sind, ist jeder Zahnarzt persönlich und der zahnärztliche Berufsstand in toto zu einer grundsätzlichen berufsethischen Positionierung aufgefordert. Es gilt, die Alternative "Eine Maßnahme ist für den Patienten medizinisch heilend nötig" gegen die Position "Der Kunde will und bezahlt sie" abzugrenzen. Darüber hinaus ist es wünschenswert, dass der Zahnarzt eine quasi-psychotherapeutische „Fähigkeit zur Wunschkritik" entwickelt, die ihm nicht nur erlaubt, zwischen medizinisch berechtigten Wünschen des "homo patiens" (im Sinne der Schmerzlinderung und Heilung) und den temporären Wünschen des "homo ludens" (im Sinne einer Anpassung an Modetrends) zu unterscheiden, sondern auch mit dem zu Behandelnden die Sinnhaftigkeit der gewünschten Behandlung zu diskutieren. Notwendige und Wunschmedizin finden statt in einem Gesundheitswesen mit ökonomischen Restriktionen und heftigen Verteilungskämpfen. Kettner hält es mit Blick auf die „professionelle Autonomie" der Ärzte für äußerst wünschenswert, dass die Honorarsituation es ihnen gestattet, im kurativen Bereich die für ihr Auskommen notwendigen finanziellen Mittel zu erwirtschaften. Diese Forderung findet die volle Unterstützung des Deutschen Arbeitskreises für Zahnheilkunde, der sich seit Jahren für die angemessene Honorierung medizinisch notwendiger Zahnbehandlung einsetzt und auch die regelmäßige Anpassung der Honorare im gesetzlichen und privaten Bereich an die wirtschaftliche Entwicklung fordert. Wenn fehlende Verdienstmöglichkeiten in der kurativen Medizin durch Ausweichen in den Bereich der "wunscherfüllenden Zahnmedizin " ausgeglichen werden, bewertet Prof. Kettner dies nicht prinzipiell als unmoralisch. Allerdings ist – dies betont auch der DAZ – die wunscherfüllende Leistungserbringung immer wieder kritisch zu hinterfragen – im Sinne des Prinzips „nil nocere" bzw. im Sinne einer ethisch verantwortlichen Zahnheilkunde.

Weitere Informationen:

Dr. Celina Schätze, Stellv. DAZ-Vorsitzende,
Tel. 030/8264232, Fax 030/89735295

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