Schon wieder klaffen Milliardenlöcher im Etat der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). CDU-Politiker plädieren dafür, nicht nur Zahnersatz sondern die gesamte Zahnmedizin aus dem Kassen-Leistungskatalog zu streichen; Mitglieder der Rürup-Kommission äußern ähnliche Vorschläge. Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Bundeszahnärztekammer begrüßen im Namen der Zahnärzteschaft die Ausgrenzungspläne.
Der Deutsche Arbeitskreis für Zahnheilkunde (DAZ) bezweifelt, ob diese Position tatsächlich von der Mehrheit der deutschen Zahnärzte geteilt wird. Er fordert die an der Reform Beteiligten aus Politik, Kassen, Verbänden und Körperschaften auf, die Konsequenzen ihrer Vorschläge insbesondere für Versicherte, Patienten und Leistungserbringer zu erkennen und klar zu benennen.
Wer von heute auf morgen die gesamte Zahnheilkunde privatisiert, setzt damit die älteren gesetzlich Versicherten sowie die Versicherten mit bereits erkrankten Zähnen deutlich steigenden Kosten aus. Denn sie erhalten, wenn überhaupt, privaten Zahnversicherungsschutz nur gegen hohe Prämien. Wegen der höheren Morbidität unterer Sozialschichten belastet die Veränderung besonders die ärmeren Teile der Bevölkerung. Ein Teil der Zahnkranken wird sich nur einfachste Behandlungen und Versorgungen leisten können. Manche zahnerhaltende Maßnahme wird aus Kostengründen unterbleiben; unnötiger Zahnverlust mit oftmals negativen Auswirkungen für das restliche Gebiss und die soziale Situation des Betroffenen wird die Folge sein. Auch Kontrolluntersuchungen und präventive Maßnahmen, gerade mit viel Engagement etabliert, gehen möglicherweise zurück.
Wenn wiederum der Systemwechsel sozial abgefedert wird durch Senkung der Kassenbeiträge in Höhe des Zahnmedizin-Anteils, durch lange Übergangsfristen, durch private Zahntarife mit solidarischen Elementen und durch steuerfinanzierte Zuschüsse für einkommensschwache Patienten, dann kann von kurzfristigen Einsparungen, wie sie jetzt zur Stabilisierung der GKV angestrebt werden, nicht die Rede sein. Im übrigen würde die Herausnahme aller zahnmedizinischen Leistungen – ob mit oder ohne Übergangshilfen – die Finanzmisere der GKV ohnehin nicht dauerhaft beseitigen. Denn die zahnmedizinische Behandlung ist kein Kostentreiber; ihr Anteil an den GKV-Ausgaben sinkt seit Jahren. Überhaupt leidet nach Meinung führender Gesundheitsökonomen das deutsche Gesundheitswesen nicht unter einer Kostenexplosion sondern unter der ausschließlichen Lohnbezogenheit der Einnahmen und dem Zurückbleiben der Lohnsumme hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Wenn der Gesetzgeber die Kosten der Zahnbehandlung in stärkerem Maße den Menschen selbst zumuten will, bietet sich statt der Totalausgrenzung ein System von Festzuschüssen innerhalb der GKV an. Festzuschüsse erlauben die Finanzierung oder Teilfinanzierung grundlegender Leistungen zur Behandlung relevanter oraler Erkrankungen einschl. Zahnverlust. Diese Grundversorgung kann der medizinischen und der Finanz-Entwicklung angepasst werden. Wer darüber Hinausgehendes wünscht, zahlt privat zu.
Politiker und Verbandsvertreter sollten sich davon verabschieden, Sparmaßnahmen als mehr Freiheit, Selbstverantwortung, Präventionsförderung u.ä. zu verbrämen. Finanzielle Einbußen für die Patienten sollten ehrlich als solche benannt werden. Und die gewählten Vertreter der Zahnärzteschaft sollten nicht länger die Illusion verbreiten, dass Privatisierung automatisch zu besseren Arbeitsbedingungen für die Zahnärzte führt.
Vor allem aber sollte es in einem trotz aller Krisen reichen Land wie Deutschland möglich sein, dass auch einkommensschwache Menschen eine zahnmedizinische Grundversorgung erhalten. Orale Gesundheit und ein funktionstüchtiges Gebiss – dies betont der DAZ, der sich seit seiner Gründung für Prophylaxe stark macht – ist kein kosmetischer Luxus, sondern elementarer Teil von Gesundheit und Lebensqualität.
Für Rückfragen: Dr. Roland Ernst, Stellv. DAZ-Vorsitzender, E-Mail Ernst.Roland@t-online.de