Rundfunk, Fernsehen und Printmedien berichten in diesen Tagen über "Millionenbetrug mit Billiggebissen". Seit Jahren soll die Mülheimer Firma Globudent an Zahnärzte in China billig gefertigten Zahnersatz geliefert und nach deutschen Höchstpreisen abgerechnet haben. Die enorme Spanne (bis zu 80%) teilten sich die Dentalhandelsgesellschaft und der jeweilige Zahnarzt.
In vielen Branchen profitieren Zwischenhändler legalerweise von niedrigen Auslandspreisen; im Bereich der Zahnersatzversorgung ist dies jedoch verboten. Wenn Zahnärzte die Preisvorteile nicht an Patienten und Kasse weitergeben und den Eindruck erzeugen, der Patient habe in Deutschland gefertigten Zahnersatz erhalten, handelt es sich eindeutig um Betrug, der sowohl von den Strafverfolgungsbehörden als auch von Kammern und KZVen geahndet werden muss.
Der Deutsche Arbeitskreis für Zahnheilkunde (DAZ) hat sich seit Jahren mit dem Thema Auslandszahnersatz auseinandergesetzt und vor widerrechtlicher Ausnutzung der Preisunterschiede gewarnt. Angesichts der zum Teil einseitigen Berichterstattung über das Betrugsgeschehen wollen wir auf einige Aspekte hinweisen, die uns wichtig erscheinen.
Über Tage kolportieren die meisten Medien sensationelle Zahlen, ohne hierfür hinreichende Belege zu haben. Von bis zu 2.000 in den Betrug verwickelten Zahnärzten (vereinzelt sogar von einer 5-stelligen Anzahl) und kassierten Summen von bis zu 300 Millionen Euro ist die Rede. Wenn man die konkret benannten Fälle zusammenzählt, relativieren sich diese Zahlen zusehends. Die Kassenärztlichen Vereinigungen, zuständig für die Abrechnung der Zahnärzte gegenüber den Kassen, überprüfen derzeit in jedem Bundesland bzw. KZV-Bereich die Zahnersatzrechnungen der letzten Monate. Überall liegt die Zahl der Verdachtsfälle bisher niedriger, als dies bei Beteiligung von 2000 Zahnärzten bundesweit zu erwarten wäre. Selbst wenn die Ermittler noch weitere am Deal beteiligte Globudent-Kunden aufspüren und fingierte Rechnungen auch noch bei anderen Firmen und deren zahnärztlichen Auftraggebern entdecken, dürften die Zahlen deutlich unter 2000 bleiben. Mit Sicherheit gibt es schon jetzt mehr Presseäußerungen über den Betrug als beteiligte Betrüger. Die Medien sind zu mehr Sorgfalt zu ermahnen. Denn übertriebene Verdächtigungen richten Schaden an, auch wenn sie irgendwann später korrigiert werden.
Eine Mahnung geht auch an diejenigen, die sofort massive Qualitätsmängel bei Auslandszahnersatz und schlimme Gefahren für die Patienten bis hin zu Krebserkrankungen beschworen haben. Manchem geht es dabei weniger um den Schutz der Patienten vor Gesundheitsschäden als um den Schutz des eigenen Betriebes vor Konkurrenz. Zahlreiche ausländische Labors laden zur Überprüfung ihrer Qualität ein, unterziehen sich Zertifizierungsprozeduren, verwenden zugelassene Materialien und beschäftigen deutsche Meister, um so Zugang zum deutschen Markt zu erhalten. Vereinzelt wurden Vergleichbarkeit der Ergebnisse und Qualitätssicherungsmaßnahmen ausländischer Labors bereits wissenschaftlich untersucht (Kerschbaum in ZM 91/2001).
Verschiedene gesetzliche Kassen haben sich seit Jahren aus Kostengründen für die Nutzung von Auslands-Zahnersatz stark gemacht. Große Ersatzkassen wie Barmer und DAK versorgen ihre Patienten mit Empfehlungslisten kostengünstiger Labors, die z.T. im Ausland fertigen lassen. Einige Betriebskrankenkassen wie die BKK Hamburg und die BKK Berlin sind noch weiter gegangen und bieten Zahnärzten finanzielle Anreize! Ein Drittel der kassen-seitigen Ersparnis bei preiswerter Prothetik soll dem Zahnarzt zufließen -umfirmiert als Qualitätsbonus wegen einer auf fünf Jahre verlängerten Gewährleistung auf die zahntechnische Arbeit. Ein inhaltlich und rechtlich höchst zweifelhaftes Angebot, gegen das in Hamburg bereits die Aufsichtsbehörde eingeschaltet wurde. Denn wieso erhält nur ein Zahnarzt, der die Prothetik billig einkauft, den Gewährleistungsbonus – das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun! Wieso wird es außerdem dem Zahnarzt als erhöhte Qualität angerechnet, wenn für die Technik eine längere Garantie gilt? Das ist doch kein zahnärztliches Verdienst! Wenn schon, müsste es um eine längere Gewährleistung für die prothetische Arbeit insgesamt gehen. Viele Labors, einschl. Auslandslabors, verpflichten sich ohnehin auf eine 5-jährige Gewährleistung. Der DAZ hat schon vor Jahren befürwortet, dass es Zahnärzten möglich sein müsste, besondere Qualitätszusagen zu machen und dafür Vergütungszuschläge zu erhalten. Die BKK-Angebote haben mit solchen Qualitätskonzepten jedoch wenig zu tun. Ihr Ziel ist nicht, die Qualität zu verbessern, sondern einen Anreiz zu setzen für die Verwendung billigen Zahnersatzes, der Kosten spart und gleichzeitig der Kasse als Marketing-Argument dienen kann.
Die entscheidende Frage bei den aktuellen und ähnlichen Betrugsfällen ist natürlich die, wer durch den Betrug mit überhöht abgerechnetem Zahnersatz geschädigt wird. Wenn man eine akzeptable Qualität der Arbeiten annimmt, dann entsteht dennoch für Kasse und Patient ein Schaden finanzieller Art dadurch, dass beide um die durch Auslandsproduktion mögliche Ersparnis geprellt werden. Die Schädigung der Solidarkassen, die bei Prothetik zwischen 50 und 65% der Kosten, bei Härtefällen sogar 100% übernehmen, ist zweifellos skandalös. Aber die Schädigung der Patienten ist es ebenso. In einigen der jetzt publizierten Berichte fallen die Nachteile für die Patienten fast völlig unter den Tisch. Dies ist unseres Erachtens eine falsche Gewichtung. Wir begrüßen es, dass zahnärztliche Körperschaften Hotlines für Patienten eingerichtet haben und auch Unterstützung bei der Rückforderung überzahlter Beträge anbieten.
Und die Kassen, die sich z.T. als die Hauptleidtragenden hinstellen, täten gut daran, auch ihren eigenen Umgang mit billiger Zahntechnik, Qualitätsfragen und Anreizen überdenken. Nicht hinzunehmen ist es jedenfalls, wenn sie oder andere jetzt einen Zusammenhang zwischen den Betrugsfällen und den Finanzproblemen unseres Gesundheitswesens konstruieren. Kassen und Patienten ist durch die Falschabrechnungen nicht mehr Geld entzogen worden, als sie bei korrekter Abrechnungen von BEL-Preisen für deutsche Zahntechnik bezahlt hätten. Wer meint, das hinterzogene Einsparvolumen hätte einen wesentlichen Beitrag zur Sanierung der Gesetzlichen Krankenversicherung bewirken können, verkennt die Relationen. Tatsache ist, dass der Anteil der Zahnmedizin und auch der Prothetik an den Kassen-Ausgaben seit Jahren rückläufig ist.
Aber in schwierigen Zeiten wie diesen, wo viele Bürger sich mit finanziellen Einschnitten konfrontiert sehen, passt's gut, wenn es den "Besserverdienern" an den Kragen geht, die sich noch zusätzlich illegal bereichern. Viele Schlagzeilen stellen in Zusammenhang mit dem Globudent-Skandal ganz allgemein "die Zahnärzte" an den Pranger.
Die gewählten Vertretungen der deutschen Zahnärzteschaft haben vom ersten Tag an klargemacht, dass sie nach Kräften zur Aufklärung der Betrugsfälle beitragen werden, dass sie die strafrechtlichen Konsequenzen befürworten und ihrerseits in den bewiesenen Fällen das berufsrechtliche Instrumentarium bis hin zum Entzug der Kassenzulassung einsetzen werden. Sie sind darin zu ermuntern – Vorgänge dieser Art dürfen keinesfalls mit dem Mantel der Kollegialität zugedeckt werden! Der DAZ hofft, dass die zahnärztliche Selbstverwaltung, sensibilisiert durch diese Erfahrung, in Zukunft Ihre Kontrollmöglichkeiten konsequenter nutzt und klarer als bisher für die Einhaltung der gesetzlichen bzw. vertragszahnärztlichen Regelungen eintritt. Sie darf nicht zulassen (oder gar fördern), dass ein Klima entsteht, in dem viele Zahnärzte aus Frustration über Budgetierungen, Abwertungen, Nullrunden und die sonstigen Eingriffe in das kassenärztliche System meinen, zur "Selbsthilfe" greifen und sich ihre eigenen Regeln schaffen zu können.
Der DAZ fordert alle Beteiligten auf, für die rasche und vollständige Aufklärung der Betrugsfälle zu sorgen, damit das Vertrauen der Menschen in ihren Zahnarzt nicht Schaden nimmt.