Fw: “Das Gesundheitssystem im Clinch der Homöopathen”

14. November 2015
Servus LiLi,
 
schon spannend, auf welch hohem medizinisch/wissenschaftlichem Niveau die FAZ auftritt. Da könnten sich ZWR et al. eine Scheibe abschneiden.
 
Gruß

Kai Müller

 

 

Gesendet: Samstag, 14. November 2015 um 10:37 Uhr
Von: "'u.suessenberger@t-online.de&#39; u.suessenberger@t-online.de [zahnregional]" <zahnregional@yahoogroups.de&gt;
An: zahnregional <zahnregional@yahoogroups.de&gt;
Betreff: "Das Gesundheitssystem im Clinch der Homöopathen"
 

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.11.2015, Nr. 265, S. 14

 

Das Gesundheitssystem im Clinch der Homöopathen

 

Kotau vor den Krankenkassen: Norbert Schmacke zeigt, wie Alternativmedizin hoffähig gemacht wird

 

Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) hat allen Grund zu frohlocken: Inzwischen haben schon rund zwei Drittel der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland mit dieser Interessenvertretung sogenannte Selektivverträge geschlossen. Für die Kügelchen verteilenden Ärzte lohnt sich das finanziell enorm. Diese Aufwertung der Homöopathie ist es, die der Bremer Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke, Herausgeber des Buches "Der Glaube an die Globuli", in seinem eigenen Beitrag anprangert.

Ihm geht es nicht darum, noch einmal zu zeigen, warum das homöopathische Theoriegebäude – hoch potente Verdünnungen von Substanzen unterschiedlichster Provenienz jenseits der molekularen Nachweisgrenze sollen in einer Art Umkehrung des Dosis-Wirkungs-Prinzips über ein "Wassergedächtnis" als Medizin etwas bewirken – wissenschaftlicher Unsinn ist. Er will vielmehr Belege dafür zusammentragen, wie die evidenzbasierte Medizin (EBM) als rational anspruchsvollste Variante medizinischer Empirie inzwischen von Homöopathen in pseudowissenschaftlicher Manier instrumentalisiert wird. Die Reputation der EBM beruht darauf, dass sie so lange die Wirkung von Medikamenten nicht anerkennt, bis in klinischen Studien an Patientenkollektiven gezeigt wurde, dass für die Kranken ein Nutzen erkennbar ist. Die Studien müssen dabei so konzipiert sein, dass mit Hilfe statistischer Berechnungen eine vorteilhafte Wirkung nachweisbar ist.

Wichtig ist zu verstehen, dass die EBM ursprünglich die medizinische Grundlagenwissenschaft an die Kandare nehmen wollte: Nicht alles, was in Physiologieinstituten und Pharmalaboren als Medikament entwickelt wurde und sich im Zellversuch als wirksam erwies, war nämlich für die Kranken auch von Nutzen, ja es schadete manchmal eher. Allein über die klinische Testung auf breiter Front und über möglichst lange Beobachtungszeiträume unter Ausschluss verzerrender Einflussfaktoren erweist sich das tatsächliche Potential von Medikamenten – so das Credo der EBM.

Allerdings ist es gefährlich, diese Methodik gänzlich losgelöst von den medizinischen Grundlagenwissenschaften anzuwenden. Denn sonst könnte letztlich jede Substanz, ohne dass es dafür ein plausibles pharmakologisches Wirkprinzip gäbe, auf ihre wie auch immer zustande gekommenen Effekte getestet werden. Exakt so gehen Homöopathen aber nun unter Aufweichung der strengen Standards vor, um ihre Substanzen in Stellung zu bringen. Schmacke zeigt insbesondere am Beispiel der bei Krebserkrankungen postulierten Heilungen oder Besserungen, wie alle Behauptungen bröseln, wenn man nur genauer nachhakt. Er hat sich die Mühe gemacht, von Krebsheilern unter den Homöopathen in zermürbender Korrespondenz die Rohdaten für die steilen Thesen einzufordern – erfolglos. Schmacke kritisiert auch, dass Universitäten solchen Dilettantismus adeln, indem sie Doktorarbeiten unter Niveau durchwinken. Wachsweiche Doktorarbeiten verschaffen so der Homöopathie den Anschein von Wissenschaft.

Eine der wichtigen Forderungen am Ende des Buches lautet daher, dass neben den Fakultäten vor allem die medizinischen Fachverlage hohe Standards einhalten müssen. Denn ist ein Artikel einmal publiziert, kann ihn jeder zitieren, methodische Mängel sind schnell vergessen. Schmacke erinnert daran, dass sich nicht einmal die renommierte Zeitschrift "Nature" gegenüber den Verlockungen einer später nie bestätigten Studie aus dem Umkreis der Homöopathie als immun erwiesen hatte.

Außerdem kritisiert er die Sonderstellung, die die Homöopathie in Sachen Arzneimittelzulassung genießt. Während die pharmazeutische Industrie für die Zulassung eines Medikamentes dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Wirksamkeitsstudien vorlegen muss, deren Ablauf und Konzeption minutiös vorgeschrieben sind, sind die Homöopathen von derartigen Nickeligkeiten befreit. Stattdessen sitzen in einer Sonderkommission des BfArM ausschließlich Fachvertreter der Homöopathie, die über die Tauglichkeit ihrer Globuli selbst befinden dürfen.

Der Kreis schließt sich, wenn die Kostenträger die Verabreichung der in zweifelhaften Studien untersuchten und in einer Art Inner-Wheel-Verfahren zugelassenen Globuli dadurch anerkennen, dass sie den Gang zum Homöopathen finanzieren. Und dies, obwohl die Kassen gegenüber der Ärzteschaft stets betonen, nur dann Untersuchungen und Medikamente nicht zu erstatten, wenn gemäß evidenzbasierter Kriterien deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen sei. Dahinter steht der Wunsch der Patienten nach alternativen Heilverfahren. Sie ist die Triebfeder, die die Kassen im Wettbewerb um die Versicherten nutzen wollen.

Die anderen Beiträge des Buchs verdeutlichen indes, dass die Homöopathie nach den gleichen Mustern verfährt wie andere alternative Heilverfahren. Am instruktivsten ist ein Beitrag von Protagonisten der evidenzbasierten Medizin, der bereits vor einiger Zeit im Fachblatt der englischen Ärzteschaft, dem "British Medical Journal", erschienen ist. Die britischen Autoren machen klar, dass die intellektuelle Attraktivität der evidenzbasierten Medizin zwar ungebrochen ist. Allerdings zermürbt es selbst die Anhänger, dass ihre Differenziertheit nicht für einfache Handlungsanweisungen taugt. Nicht nur die Alternativmedizin, sondern auch andere Profiteure von schlichten Botschaften schicken sich daher an, die Prinzipien der EBM auszuhebeln. Insofern ist das Buch auch ein aktueller Appell, im Ringen um Rationalität in der Medizin nicht nachzulassen.

 

MARTINA LENZEN-SCHULTE.

 

Norbert Schmacke (Hrsg.): "Der Glaube an die Globuli". Die Verheißungen der Homöopathie.

Reihe medizinHuman, Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 244 S., br., 14,- [Euro].

 

Alle Rechte vorbehalten © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main

 

 

__._,_.___
 
 
  Antworten an Absender Antworten an Group Neues Thema