Krankheitskosten werden mehr und mehr privatisiert

Gesundheitspolitische und fachliche Fortbildung von VDZM und DAZ

Bonn/Köln, 30. April 2010

Kritik am Trend zur Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung und ein Bekenntnis zur solidarischen Absicherung des Krankheitsrisikos prägten die gemeinsame Frühjahrstagung von VDZM und DAZ. Die Zahnärzteverbände Vereinigung Demokratische Zahnmedizin e.V. und Deutscher Arbeitskreis für Zahnheilkunde e.V. trafen sich am 24. April 2010 in Frankfurt am Main.

Der gesundheitspolitische Referent Prof. Thomas Gerlinger, der als Medizinsoziologe den Bereich Sozialepidemiologie und Gesundheitssystemgestaltung an der Universität Bielefeld leitet, zeichnete die großen Entwicklungslinien der Gesundheitspolitik der letzten Jahrzehnte nach. Strukturerhaltende Kostendämpfungspolitik und Maßhalteappelle kennzeichneten die 1970er und -80er Jahre. Auf Basis freiwilliger Vereinbarungen blieben die Vergütungs- und Vertragsstrukturen damals weitgehend konstant. Seit 1992 dagegen schreitet eine wettbewerbsbasierte Strukturreform voran. Gleichzeitig nahm die staatliche Regulierung zu, um die Akteure „unfallfrei" zu steuern. Die Wettbewerbsideologie und Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung zeigten sich beispielsweise daran, dass die Privatisierung der Krankenhäuser in keinem Land so rasch voran schreite wie in Deutschland.

Seit den 1970er Jahren steigt der Krankenversicherungsbeitrag. Der Anteil der Ausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) am Bruttosozialprodukt ist jedoch seit Jahrzehnten stabil. Kostensteigerungen wurden also gut aufgefangen. Höhere Beiträge zur Krankenversicherung liegen demnach am Einnahmedefizit der GKV: Zum einen schrumpft der Anteil der beitragspflichtigen Einkommen am Volkseinkommen, zum anderen schwächt die Abwanderung in die private Krankenversicherung die Finanzbasis der GKV.

Kontinuierlich bestehe ein Trend zur Privatisierung der Krankheitskosten. „Die Versicherungsbeiträge wurden in der Vergangenheit zu gleichen Teilen durch die Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert. Mittlerweile jedoch zahlen die Arbeitnehmer 0,9 von insgesamt 14,9 Beitragssatzpunkten allein. Gleichzeitig nehmen die Zuzahlungen zu. Sie treffen Kranke und sozial Schwache in besonderem Maß. Das sind Gerechtigkeitsdefizite. Oder weniger akademisch formuliert: Das ist ungerecht", so Gerlinger.

Der Referent legte dar, dass Deutschland zwar weltweit die vierthöchsten Kosten im Gesundheitswesen hat, die Bevölkerung aber keinen überragend guten Gesundheitszustand aufweist. Daraus schlossen die Diskussionsteilnehmer, dass die zunehmende Privatisierung für die GKV-Versicherten keinen Vorteil bringt und nur ein Förderungsinstrument für private Versicherungsanbieter und Kapitalinvestoren ist. Eine zunehmende Belastung insbesondere für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen sieht Gerlinger mit der geplanten einkommensunabhängigen Kopfpauschale und dem Einfrieren des Arbeitgeberbeitragsatzes herauf ziehen. Dies brächte der Wirtschaft im Übrigen viel weniger als vermutet, denn selbst eine deutliche Senkung des Krankenkassenbeitrags um einen Prozentpunkt würde die Arbeitskosten nur um minimale 0,4% reduzieren, so Gerlingers überraschende Berechnung.

Auch die Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung sahen als besseres Konzept die Bürgerversicherung an und fordern, die Arbeitgeber als Akteure weiterhin paritätisch mit zu beteiligen.

Im fachlichen Fortbildungsteil erläuterte Priv.-Doz. Dr. Anne Wolowski, wie Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen in der zahnärztlichen Praxis zu erkennen sind und wie der Zahnarzt mit ihnen umgehen sollte. Frau Dr. Wolowski ist die zahnärztliche Leiterin des Bereiches Psychosomatik an der Universitäts-Zahnklinik Münster. Eindrucksvoll waren Fallbeispiele, bei denen psychosomatische Auffälligkeiten ignoriert und notwendige Anamnesen nicht erhoben wurden. Damit Zahnärzten nicht solche Fehler unterlaufen, fordert die DAZ-VDZM-Arbeitsgruppe Studienreform Änderungen in der Approbationsordnung. Zahnärztliche Psychologie und Psychosomatik möchte sie mit insgesamt fünf Kurs- und Vorlesungs-Semesterwochenstunden ins Zahnmedizinstudium integrieren.

V.i.S.d.P.:                  Dr. Kristina Schwigon, Vorsitzende der VDZM

                                   Dr. Celina Schätze, Vorsitzende des DAZ