Auf der gemeinsamen Herbsttagung des Deutschen Arbeitskreises für Zahnheilkunde(DAZ) und der Initiative Unabhängige Zahnärzte Berlin (IUZB) wurde ein Vortrag von Dr. Henning Madsen, Kieferorthopäde aus Ludwigshafen angeboten. Das Referat beschäftigte sich mit den üblichen Rechtfertigungsargumenten für kieferorthopädische Behandlung im Allgemeinen und der Frage nach deren effizienter Durchführung.
Im ersten Teil der Veranstaltung wurde auf der Basis einer sehr umfangreichen Literaturrecherche dargestellt, dass kieferorthopädische Behandlungen auf Karies, Kiefergelenkerkrankungen, Atemwegserkrankungen, allgemeine orthopädische Beschwerden und Verdauungsprobleme keine belegten Effekte haben. Allenfalls bezogen auf die Karies besteht bei Zahnengständen eine schwache Korrelation. Mit der Behauptung eben dieser, offensichtlich nicht zutreffenden, Präventionseffekte wird in Deutschland häufig geworben. Auf diese Weise sollen Eltern davon überzeugt werden, ihre Kinder kieferorthopädisch behandeln zu lassen.
Aus der Sicht des Referenten ist die Verbesserung der Ästhetik des Gebisses der einzige belegbare Nutzen dieser Behandlung. Allein dieser Effekt sei wegen seiner psychosozialen Bedeutung eine anzuerkennende Legitimation. Dr. Madsen forderte mehr Ehrlichkeit in diesem Sinne und eine Diskussion der Rolle der Kieferorthopädie in unserer Gesundheitsversorgung.
Im zweiten Teil der Veranstaltung wurde die Effizienz der Behandlung in Bezug auf Ergebnisqualität und Zeit-sowie Kostenaufwand beleuchtet. Aus den vorgestellten Untersuchungen ergibt sich, dass in Deutschland bei gleichen oder schlechteren Ergebnissen etwa doppelt so lange behandelt wird wie in anderen entwickelten Ländern. Der in Deutschland sehr verbreitete Einsatz von herausnehmbaren Geräten ist anderenorts weitgehend unüblich. Der Referent bezeichnete diese Praxis, die mit einem frühen Behandlungsbeginn im Wechselgebiss verbunden ist, als überholt und ineffizient. Sie belaste unnötig die Kinder und verursache höhere Kosten. Besonders die Laborkosten für die herausnehmbaren Geräte, die üblicherweise in Praxislabors hergestellt werden und in der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht budgetiert sind, wurden hervorgehoben.
Im Ergebnis forderte Dr. Madsen eine Abkehr von der Frühbehandlung – mit Ausnahme von einseitigen Kreuzbissen, Progenien, schweren skelettalen Störungen und sozial besonders belastenden Frontzahnfehlstellungen. Er sprach sich für eine festsitzende Behandlung nach dem Zahnwechsel aus, die dann in der Regel bei oft besseren Ergebnissen nicht länger als zwei Jahre dauern würde.
Beide Teile des Vortrags wurden intensiv diskutiert. Von Seiten der Kieferorthopäden im Auditorium konnten die von Dr. Madsen vorgelegten post_daten nicht widerlegt werden. Die Hauptkritik an dem Referenten war das von ihm gewählte Forum. Ihm wurde vorgeworfen, dass er seine versorgungspolitisch brisanten Thesen nicht im Kreis der Kieferorthopäden belassen hat. Zu Gunsten der Frühbehandlung mit herausnehmbaren Geräten konnte nur auf die deutsche Tradition und eine angeblich geringere Kariesgefährdung durch herausnehmbare Geräte verwiesen werden.
Der Deutsche Arbeitskreis für Zahnheilkunde appelliert an die zahnärztlichen Körperschaften und Verbände sowie die zahnmedizinische Wissenschaft, sich mit den internationalen Forschungsergebnissen zur Kieferorthopädie auseinander zu setzen und die in Deutschland gängigen kieferorthopädischen Therapien hinsichtlich ihrer Notwendigkeit, Wirkungen und Nebenwirkungen kritisch zu hinterfragen.
Dr. Celina Schätze, DAZ-Vorsitzende, Mail celina.schaetze@web.de
Deutscher Arbeitskreis für Zahnheilkunde (DAZ)
Kronenstr. 51, 53840 Troisdorf, Tel: 02241/97228-76, Fax: 02241/97228-79
Mail: kontakt@daz-web.de, Internet: www.daz-web.de