Umverteilung von unten nach oben?

Thomas Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“

10. März 2015

Während in der Anfangszeit der Bundesrepublik wachsende Arbeitseinkommen der Versicherten zu wachsenden Beitragseinnahmen führten und Leistungsausweitungen und andere Verbesserungen der Gesundheitsversorgung ermöglichten, bringen seit Längerem Veränderungen der Einkommens- und Vermögensverteilung die beitragsfinanzierten Sozialsysteme in Bedrängnis. Nicht auf (Lohn-)Arbeit basierende, beitragsfreie Einkommen und die Vermögen eines kleinen Teils der Bevölkerung wachsen überproportional, begünstigt durch entsprechende gesetzliche Regelungen. Hinzu kommen über Jahrzehnte Entwickelte legale und illegale Formen der Steuerhinterziehung in großem Stil. Die auf diese Weise „umverteilten“ Mittel fehlen für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben – unter anderem für die Finanzierung des Gesundheitswesens.

Zwar sind nicht alle Probleme des deutschen Gesundheitssystems mit Geld zu lösen. Jedoch werden für eine zuwendungsorientierte, fachlich qualifizierte medizinische und pflegerische Versorgung der Bevölkerung auf jeden Fall immense Ressourcen benötigt, weshalb der gesundheitspolitisch Interessierte durchaus auch die ökonomischen Debatten mit verfolgen sollte.

Ein in diesem Zusammenhang viel zitierter Autor ist der französische Ökonom Thomas Piketty. In seinem zunächst nur auf französisch und englisch verfügbaren Buch über das Kapital im 21. Jahrhundert stellt er die Ungleichheit der Vermögen in den Mittelpunkt und diskutiert diese als Quelle für die Ungleichheit der Einkommen. Denn je ungleicher die Vermögen verteilt sind, desto ungleicher sind auch Zins-, Miet-, oder Dividendeneinkommen verteilt, die zumindest in Deutschland einen immer größeren Teil des Gesamteinkommens ausmachen.

Wie Fabian Lindner von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in einem Beitrag im FORUM für Zahnheilkunde 120 (S. 18-19) zu Pikettys Theorien darlegt, „führen Erbschaftsrecht und Zinseszins dazu, dass die Ungleichheit der Vermögen immer größer wird – wenn nicht Krieg, Steuern oder Demographie dazwischenfunken. Wenn sich aber Vermögen ungehindert vermehren dürfen, dann steigt auch das leistungslose Einkommen, und der Wert der Arbeit schwindet. Zudem steigern große Vermögen die politische Macht der Vermögenden, was wiederum die Demokratie aushöhlt. Kurz: Die große Konzentration der Vermögen in den Händen Weniger stellt die Mittelschichtsgesellschaft in Frage und beeinträchtigt damit die fundamentale Basis der westlichen Demokratien.“

Wer sich direkt mit Piketty auseinandersetzen will, hat dazu inzwischen auch auf Deutsch Gelegenheit:
Piketty, Thomas: Das Kapital im 21. Jahrhundert
6. Auflage 2015. 816 S., mit 97 Grafiken und 18 Tabellen, gebunden 39,95 Euro, auch als E-Book lieferbar, erstmals erschienen 10/2014 bei C.H.Beck. ISBN 978-3-406-67131-9

Pikettys Auswertung, Interpretation und Vergleich von Studien aus verschiedenen Ländern und Jahrzehnten wurde von Fachkollegen kritisch unter die Lupe genommen. Wer auch die methodische Diskussion mitvollziehen will, kann sich unter http://piketty.pse.ens.fr/en/capital21c2 Pikettys Original-Tabellen und -Grafiken ansehen und auch mit dem Autor selbst in Kontakt treten (piketty@ens.fr). Mithilfe von Suchmaschinen kann man die Diskussion in den Medien und unter Ökonomie-Experten verfolgen.

Wer eine Kurzform bevorzugt, wird in der FORUM-Ausgabe 120 bzw. in dem DGB-Medium GEGENBLENDE 27, erschienen Mai/Juni 2014, fündig. Dort hat Fabian Lindner vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung eine ausführliche Besprechung eingestellt:
http://www.gegenblende.de/++co++c1c062de-eb20-11e3-b588-52540066f352
Irmgard Berger-Orsag, Troisdorf

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